Ein Rückblick aus dem Jahre 1985

Am 21. Juni 1928 wurde der Berliner Blinden-Sportverein (BBSV) von 1928 e.V. gegründet. Männern wie Ernst Niepel, damaliger Direktor der Blindenschule, und Ernst Nickel, der die sportliche Leitung des Vereins übernahm, ist es zu danken, dass es zur Bildung des BBSV überhaupt kam. An diesem für den Verein denkwürdigen Tag trugen sich 18 Männer als Mitglieder für den Berliner Blinden -Sportverein ein. Mit überwältigender Mehrheit wurde der Sportfreund Paul Rosendahl als Vorsitzender des BBSV gewählt. Bereits ein knappes Jahr später entstand am 15. April 1929 die Frauengruppe des Vereins, die mit sieben Mitgliedern recht beachtlich war.

Nachdem Alfred Nickel die sportliche Führung des Vereins abgegeben hatte, übernahm es der Sportlehrer und Pädagoge Georg Breitkopf, blinden Menschen den Sport nahezubringen. Im Vordergrund standen die Sparten Bodenturnen, Gymnastik und Geräteturnen. Aber sehr bald entwickelte sich ein reges Interesse an der Leichtathletik, die schon nach wenigen Jahren vorrangig war.

Leitgedanke des Vereins war und ist es, blinden und sehbehinderten Menschen die Chance zu geben, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Sport zu treiben. Das konnte nur gelingen, wenn sich jemand fand, der bereit und in der Lage war, diese schwere Aufgabe zu übernehmen. Die Gründer des Vereins hatten Glück. Der Sportfreund Georg Breitkopf übernahm es, blinden Sportlern dynamische Bewegungsabläufe beizubringen und ihnen schwierige technische Übungen wie Kugelstoßen, Hoch-, und Weitsprung zu vermitteln.

1933 gab es bereits den ersten Vergleichskampf in der Leichtathletik mit der Blindenschule in Halle (Saale). Bei diesem Wettkampf wurde festgestellt, dass die Technik in verschiedenen Disziplinen noch wesentlich verbessert werden musste.

Der nächste Schritt war die Gründung der Rudersparte. Aus Privathand wurde dem Blinden-Sportverein ein Ruderboot geschenkt. Auf Bitten des Vereins stellte die Reichsregierung einen Betrag zum Erwerb eines zweiten Bootes zur Verfügung. Bei der Einweihung der beiden Boote war auch der Rundfunk anwesend, und eine ausführliche Reportage ging über den Äther.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges musste der Trainer, der sehr geschätzte Georg Breitkopf, seinen Dienst als Offizier in der Wehrmacht versehen. Für den Verein war das ein schwerer Verlust. Trotz harter Kriegsjahre wurde, wenn auch mit Einschränkungen, der Sportbetrieb aufrechterhalten.

Nach dem Ende des Krieges begann für den BBSV eine entbehrungsreiche Zeit. Es gab weder intakte Hallen noch benutzbare Sportplätze. Nur ganz allmählich, nachdem die größten Sorgen und Nöte im Leben der Einzelnen behoben waren, setzte der Sportbetrieb, langsam, ganz langsam wieder ein. Bis etwa 1950 war es recht schwierig. Es fehlte an geeigneten Sportstätten und entsprechenden Sportlehrern und Übungsleitern.

Mitte der fünfziger Jahre setzte dann eine explosionsartige Entwicklung ein. Hierfür gab es zwei Gründe:
Heinz Toltzmann, der 1. Vorsitzende des BBSV, war gleichzeitig auch 1. Vorsitzender des Landesversehrtensportvereins Berlin. Ungefähr 30 kriegsblinde Kameraden traten dem Verein als Mitglieder bei.

Vor allem durch diesen Beitritt wurden neue Aktivitäten gesetzt und durch die Bedürfnisse der kriegsblinden Kameraden kam ein reger Sportbetrieb in Gang.

Wegen der starken Nachfrage wurden, um dem einzelnen gerecht zu werden, mehrere Sportstätten eingerichtet. Es entstanden Gruppen, deren Interessen verschiedenartig waren. Bevorzugte die eine den Leistungssport, so waren andere in erster Linie daran interessiert, den Sport als Ausgleich für den bestehenden Bewegungsmangel zu betreiben. Jeder aber kam zu seinem Recht. Qualifizierte Sportlehrer bemühten sich, um vor allem in der Leichtathletik Fortschritte für die Kameraden zu erzielen. So mancher Kamerad war überrascht, zu welchen Leistungen er noch fähig war.

Die kriegsblinden Kameraden Gustav Schultz, Paul Günther und Ernst Ossig stellten mit noch einigen anderen Sportfreunden die Leistungsgruppe im Verein dar. Die jährlich ausgetragene Vereinsmeisterschaft in der Leichtathletik wurde in den ersten Jahren in beständiger Regelmäßigkeit vom Kameraden Gustav Schultz errungen. Später trug sich dann aber auch der Kamerad Paul Günther mehrere Male in die Siegerliste ein.

Aber nicht nur im aktiven Sport waren unsere Kameraden in vorderster Front, sondern auch was Lenkung und Gestaltung des Vereins anging.

Die Kameraden Ernst Ossig und Lothar Hinke führten über lange Jahre den Verein, und mit dem Kameraden Paul Günther hatte der BBSV einen Schatzmeister, der immer darauf bedacht war, zum Wohle des Vereins eine solide finanzielle Grundlage zu schaffen. Es sei an dieser Stelle erlaubt, seinen Werdegang und seine Leistungen im Berliner Blinden-Sportverein kurz aufzuzeigen: 1945 erblindete er bei einem Fronteinsatz in Dänemark. Durch Granateinschlag wurden beide Augen völlig zerstört. Paul Günther war damals ganze 19 Jahre alt. Nach Aufenthalten im Lazarett und in verschiedenen Augenkliniken kam er nach Berlin zur Umschulung.

Sehr schnell entdeckte er seine Liebe zum Sport und widmete sich mit großer Leidenschaft diesem Hobby. Es hieße, Wasser in die Havel gießen, wenn gezählt werden sollte, wie oft er den Pokal der internen Vereinsmeisterschaften im Geräteturnen oder in der Leichtathletik erwarb. Für ihn war es selbstverständlich, die Leistungen für die Sportabzeichen in Bronze, Silber und Gold zu erbringen und immer wieder zu wiederholen. Auch als guter Kegler steht er dem BKD e.V. Berlin jederzeit mit seinen reichen Erfahrungen zur Seite. Seine Funktion als Kegelobmann übt er schon eine Reihe von Jahren zur Zufriedenheit aller Kegler aus.

Seit über 20 Jahren ist Kamerad Günther nun der Schatzmeister des Berliner Blinden-Sportvereins. In dieser Zeit hat er mit geschickter Hand die Finanzgeschäfte des Vereins geführt. Als nun fast Sechzigjähriger gehört er heute noch zu den Stützen des Vereins. Bleibt zu hoffen, dass er noch recht lange bei bester Gesundheit dem Berliner Blinden-Sportverein und dem BKD in Berlin mit Rat und Tat zur Seite steht.

Der Berliner Blinden-Sportverein betrachtet sich als Schicksalsgemeinschaft, in der jeder Blinde oder Sehbehinderte als Mitglied aufgenommen werden kann. Unter Leitung und Aufsicht erfahrener Sportlehrer und Mediziner hat er ein großes Angebot parat. Vom Tandemfahren über Leichtathletik, Tor- und Rollball, Schwimmen, Kegeln bis hin zum Skilanglauf reicht die Palette. Hoffen wir, dass der BBSV noch recht lange zum Wohle seiner Mitglieder seine so fruchtbare Arbeit fortsetzen kann.

Lothar Hinke (1985)